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AutorenbildPhilipp Rosendahl

Die Schicksalsfrage

ein kleines Gedankenspiel zu Korngolds Oper "Der Ring des Polykrates"

„Er kommt! Vergang'nes dringt ins Heut!

In die neue goldne Luft weht aus alter Zeit ein ferner Duft Wie liegt dies alles mir so weit, so weit!“

(Laura, Der Ring des Polykrates, 4. Scene)

Ein Spiel. Eine Versuchsanordnung. Eine Weltraumreise.

Eine junge Frau, irgendwo zwischen Medusa und Greta Thunberg, tritt an einen großen Hebel. Sie legt den Hebel um. Es hebt sich eine Box in den Bühnenhimmel, es werden vier Menschen auf einem Podest sichtbar (Willi, Laura, Flo und Lieschen), eine Art Floß. Sie befinden sich in einem Spiel, sie müssen die Schicksalsfrage beantworten, um sich selbst zu retten. Sie wissen es nur noch nicht.

Im Hintergrund erkennen wir (als Video) den Planeten Erde. Das Floß scheint sich von dem Planeten wegzubewegen. Über der Versuchsanordnung ist eine große Digitaluhr angebracht. Die Zeit, in der die Probanden die Schicksalsfrage beantworten müssen, läuft ab.

Zunächst sind die Probanden verunsichert. Sie wissen nicht genau, was ihre eigentliche Aufgabe ist, weshalb sie sich in ihrem Glück und ihrem Gutsein gegenseitig bestätigen. Sie sind sich sicher, alles richtig zu machen. Auch, wenn sie dabei im luftleeren Raum schweben.

Erst die Ankündigung von Peter Vogel lässt die vier stocken. Vor allem Laura denkt über ihre Vergangenheit nach. Sie weiß, dass sie sich durch Peter mit ihrer Vergangenheit konfrontieren muss; etwas, was sie für gewöhnlich nicht tut. Sie ahnt Böses. Der Abgrund neben dem Floß scheint ihr realer denn je.

Peter Vogel kommt aus dem Schwarz, in einer Art Raumanzug, herbei geschwebt. Er ist ebenfalls Teil eines Projekts. Doch ist auch er nicht informiert. Man hat ihm alles genommen, so viel weiß er. Und er hat eine Ballade von Schiller als Hilfsmittel erhalten, über der die Schicksalsfrage steht: Nach welchen Maßstäben definieren wir unser Glück?

Die Frage steht im Raum. Willi scheint zu ahnen, dass es um die Beantwortung eben dieser Frage geht, um das eigene Überleben zu sichern. Plötzlich wird das Spiel existenziell. Und die Zeit läuft.

Nach einigem kämpferischen Suchen nach dem Kern dessen, woran wir glauben, um glücklich zu sein, scheint die Antwort plötzlich klar zu sein: Der Eindringling, der Bote, der, der die Frage in die kleine Welt brachte, muss geopfert werden. In einem Opferritual wird er in den Orkus geschickt. Ohne lebensnotwendige Sauerstoffmaske.

Die Zeit ist abgelaufen. Die Erde ist nur noch ein weit entfernter, kleiner Punkt. Die junge Dame vom Anfang erscheint erneut. Sie legt erneut den Hebel um und versteinert damit die vier Probanden. Aus dem Bühnenhimmel kommt ein großer, güldener Bilderrahmen und setzt sich um das Versuchsprojekt. Für immer werden diese Vier eingehen in die Geschichte von Menschen, die nicht mehr zurück und damit auch nicht voraus schauen konnten. Sie sind gefangen im eigenen Glück. Irgendwo im luftleeren Raum.

Anleihen bei Mrozek-Auf hoher See, Sartre-geschlossene Gesellschaft, Géricault-Das Floß der Medusa, Beckett-Endspiel

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