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AutorenbildPhilipp Rosendahl

dass alles zum besten steht, hätten sie sagen müssen

Szene 1


Eine Installation aus Licht , Rauch und Musik. „Die lebendige Bühne / die Lust der Sensation“. Die Menschen wurden abgeschafft. „Wer nicht geboren wird, hat keine Probleme“. Es ist der schönste Raum, welcher in seiner Erhabenheit leichtfingrig auf der Orgel der menschlichen Gefühle spielt.




Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten.


Wir wollen auf Erden glücklich sein, Und wollen nicht mehr darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, Was fleißige Hände erwarben.


Es wächst hienieden Brot genug Für alle Menschenkinder, Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder.


Ja, Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen..



Szene 2


Lukas: Sorry, wir wurden abgeschafft. Von der Postmoderne. Uns gibt es jetzt nicht mehr. Unser Dasein hat sich überholt, wir sind unnötig. Das Theater ist da, wir sind hier. Das Theater braucht uns nicht. Da hinten, da in der Ecke, da machen wir uns jetzt Gedanken. Gedanken um die Zukunft. Da hat man uns einen Platz gelassen, uns Denkenden. Doch hier, hier vorne. Da ists aus mit uns. Wir sind Relikte aus einer anderen Zeit, wir können per Definition gar nicht modern sein, weil wir ja etwas Altes repräsentieren. Eine alte Form, ein System, welches nach ganz bestimmten Regeln läuft. Nach denen eines Fürstentums. Und wir sind dafür da, damit sich die Adeligen versichern können, dass sie noch am rechten Ort sitzen. Ihr da, ja ihr. Nein. Wir waren dafür da. Jetzt nicht mehr. Jetzt nicht mehr. So und deshalb kann es uns zwangsläufig gar nicht geben. Versteht ihr? Wenn es uns gibt, dann gibt es auch das System. Wenn wir das System nicht wollen, dann müssen wir uns selbst abschaffen. Und das machen wir auch, das haben wir gemacht. Wir sind zwar noch hier. Aber uns gibt es nicht mehr, nicht mehr in der Funktion in der es uns einst gab. Frei von dem, von all dem – Zeug – frei, im All, der freien Gedanken, da! Da werden wir jetzt zuhause sein. Jetzt gleich. Und dann werden wir etwas erschaffen. Nagut. Keine Ahnung. Ich wahrscheinlich nicht, aber die anderen, die ja!


Szene 3


Doch schaut. Der Nebel lichtet sich. Ein Wesen tritt ein .Es war gefangen. Viele Jahre. Jetzt wurden seine Fesseln gelöst.


Rahel: Licht, Licht! Ich sehe kein Licht. Ich stecke fest, fest hier im Dickicht. Meine Lampe ist zu schwach. Mir geht kein Licht auf. Und dabei sind doch eigentlich alle Voraussetzungen erfüllt, alle Wege geebnet. Es gibt kein vor und kein Zurück. Als ich noch dachte, das Zurück wäre das vor, da konnte ich noch träumen, jetzt ist die Blase nicht geplatzt. Alles verschwimmt in einem kalten Grau. Ich finds eigentlich okay, ich kann mich arrangieren, nur wo ist das, was schafft. Brauchen wir denn das, was schafft? Oder ist eh schon alles geschaffen hier und wir sollen verwalten, verweilen und vergammeln. Ich warte mal, vielleicht passiert ja was.


Lukas: Hier wird noch nichts passieren, wenn wir uns nicht entscheiden, was. Du musst es schon entscheiden. Du musst es entscheiden. Für uns entscheiden.


Artur: Immer geht es ums entscheiden. Es wird doch sowieso für uns entschieden. Von dem Schicksal, von dem Zufall, von den Göttern, keine Ahnung, aber ich entscheide sicher nichts. Auch wenn ihr so tut, als könnte Ichs.


Eva: Hier ist der Ort dafür. Hier kannst du Gott sein.


Artur: Ach kommt. Hier werde ich begafft, beurteilt und bespuckt. Außer ich werde es nicht. Dann kann ich machen, was ich will. Aber die Erwartung, die Erwartung bleibt und kann nicht gehen. Sie kann noch nicht gehen. Nur wenn ich gehe, dann geht sie auch. Mir hinterher.


Uwe: Jetzt werd hier bloß nicht sentimental. Das hilft uns auch nicht weiter.


Enrique: Jetzt wollt ihr Hilfe? Wobei kann ich denn helfen?


Lukas: Nee, sorry, also Hilfe brauchen wir nun wirklich nicht. Wir wollen inspiriert werden. Wir wollen nach den Sternen greifen. Wir wollen wissen, was die Sterne sind. Wir wollen dürfen. Was auch immer dürfen. Wir wollen die Wahl haben, aber sie soll nicht zu groß sein. Gerade nur so groß, wie wir zu begreifen verstehen. Ohne jetzt besonders nachzudenken. Wir wollen Dank für unser dasein, aber nicht die undankbaren Sachen machen. Wir hätten gerne alles, aber nicht zu viel, zum halben Preis. Da unten, da bei denen an dem großen Fluss, da ging das auch. Hier soll das jetzt nicht gehen, oder wie? Das verstehen wir nicht. Wir sehen doch ganz gut aus, oder? Und wir geben uns doch Mühe, oder? Warum also geht das hier jetzt nicht. Warum geht das nicht los? Das ist ja wirklich unerhört, das gefällt mir überhaupt nicht.


Rahel: Und dann kommst du auch noch und heulst uns voll. Wir wollen deine Tränen nicht, wir haben selbst genug davon. Wir wollen deine Liebe, deine Leidenschaft und deine Perspektive. Wir wollen sie sehen und fühlen und dann wollen wir heulen. Und fühlen.


Artur: Ja, wir wollen nicht das Richtige sein, wir wollen das Richtige spüren. Weil dann glauben wir, dass wir auch das Richtige sind. Und dann denken wir sicher auch das Richtige. Wenn wir gerade Lust haben zu denken.


Lukas: Aber das ist im Prinzip egal. Wichtig ist, dass wir glauben zu verstehen. Ich will verstehen.


Uwe: Und ich will, dass mein jämmerliches Dasein im Raum des Sinns und der Sinnlichkeit erleuchtet wird. Und das wird es auch. Dafür habe ich bezahlt.


Enrique: This my friends is the song of the beauty in dissent. We like it, because we are postmodern. And we like it, because we don't have anything else to give.


→ the song has to be written by six different composers and then put togther by coincidence

Ref.:

This - my friends

is utopia


We don't give

a shit about

your fucking lives


Strophen:

Ich hab zu viel Stress

Ich kann mich jetzt nicht

kümmern


Die Programme laufen

alle auf Hochtouren

in meinem Body

full of shit

kommt macht mit


ich werd alles können

und werd alles sein

ich muss mir mal was gönnen

du dummes fettes schwein

schlechter reim


ah

ja

so ist gut

hurra


wenn ich jetzt

denken würde, dann

wäre das ziemlich

schmerzhaft

mach ich aber nicht.


ich will dein Apfel sein

ich will dein Fruchtfleisch sein,

das tropft -

dir in die Kehle

verschluck dich nicht.

haha.


ich schenke dir meine Ästhetik

sei dankbar

denn mehr hab ich nicht

wirklich nicht


darf ich mal lecken?

ja, aber nicht gucken.


mein Ausgang ist dein Ausgang

mein Eingang ist dein Eingang

sex ist unerheblich

führt zu nichts.

lässt mich zittern, lässt mich kalt.


hier ist es warm

in dieser ecke

warm, almost hot

don't

don't

don't you touch me

with your stupid dirt

mit deinen dreckigen Händen

lass die bei dir



Szene 4


Uwe: Glücklich?

Ob ihr glücklich seid

das will ich wissen

Jetzt seid doch

endlich glücklich

dann können wir doch gehen.

Das reicht noch nicht?

Ach, wenn ihr wüsstet...


Rahel: Jetzt mal im Ernst, sollen wir jetzt wirklich...


Artur: Sollen wir jetzt echt...


Lukas: Ja, wir sollten. Wir sollten Ideen haben. Wir sollten uns nicht darüber aufregen, was wir wollen und nicht haben, was uns zusteht und was nicht. Wir sollten Visionen haben. Rumspinnen. Uns um die Zukunft kümmern, die nicht unbedingt auch was mit unserer Vergangenheit zu tun haben muss. Wir sollten uns nicht nur um uns selber kümmern, sondern um uns alle. Wir sollten nicht verwalten, sondern erfinden. Neu erfinden. Neu denken und dann neu erfinden. Mit aller Naivität die doch wirklich in uns steckt.


Einschub:

Uwe: Wenn ein Mensch ohne Weltkenntnis, sonst aber von gutem Verstande, einem andern, der ihn betrügt, sich aber geschickt zu verstellen weiß, seine Geheimnisse beich- tet, und ihm durch seine Aufrichtigkeit selbst die Mit- tel leiht ihm zu schaden, so finden wir das naiv. Wir lachen ihn aus, aber können uns doch nicht erwehren, ihn deswegen hochzuschätzen. Denn sein Vertrauen auf den andern quillt aus der Redlichkeit seiner eigenen Gesin- nungen; wenigstens ist er nur in so fern naiv, als dieses der Fall ist.

Das Naive der Denkart kann daher niemals eine Ei- genschaft verdorbener Menschen sein, sondern nur Kin- dern und kindlich gesinnten Menschen zukommen. Diese letztern handeln und denken oft mitten unter den gekün- stelten Verhältnissen der großen Welt naiv; sie vergessen aus eigener schöner Menschlichkeit, dass sie es mit einer verderbten Welt zu thun haben, und betragen sich selbst

an den Höfen der Könige mit einer Ingenuität und Un- schuld, wie man sie nur in einer Schäferwelt findet.

Solange wir bloße Naturkinder waren, wa- ren wir glücklich und vollkommen; wir sind frei gewor- den, und haben beides verloren.

Unsre Kindheit ist die einzige unverstümmelte Natur, die wir in der kul- tivirten Menschheit noch antreffen


Lukas: Jetzt hör doch auf, ich hasse diese Leute, die immer nur zitieren, statt einfach mal selbst zu denken. Jajaja, dann ist die Phantasie eben das wieder neu erinnern, aber das hat sich doch jetzt überholt. Warum dürfen denn die Technik-Nerds alles immer überholen und abschaffen und wir Denkenden, ich hoffe ich bin so einer, müssen uns immer beziehen. Beziehen auf irgendwas. Das ist doch total ärmlich und unutopisch. Da ist doch klar, dass nichts Neues entsteht. Nein nein, wir sind natürlich so schlau und wissen, dass eh nichts Neues entstehen kann, weil es ja alles schon gab und die Geschichte sich ja ohnehin immer nur wiederholt. Blabla. Das ist doch scheiße. Kein Wunder, dass wir uns in unsere Ohrensessel zurückziehen und unsere Katzen lieber kraulen als uns um andere zu kümmern. So, jetzt bin ich auch wieder angekommen. Wir sollten nicht verwalten, sondern erfinden. Neu erfinden. Neu denken und dann neu erfinden. Mit aller Naivität die doch wirklich in uns steckt. Mit aller Liebe und Leidenschaft, die doch noch nicht ganz verstümmelt ist. Wir sollten uns was trauen, was ganz anderes trauen, was trauen, was andere nichtmal denken können, weil sie so eingenommen sind. Eingenommen von allem, von allem was laut ist und mächtig. Wir sollten uns befreien vom Pragmatismus dieser Zeit und träumen, träumen von was anderem.


Enrique: Kann das bitte jemand abschalten. Ich kann es nicht mehr hören. Bitte, ich kann diese dümmliche, Traumscheiße von Glück und Zukunft nicht mehr hören. - Wo warst du bloß? Die Träume wurden schon geträumt, die Visionen wurden schon gedacht und auch gelebt und das Blut ist schon geflossen auf dem Weg. Deshalb: Wartet und staunet. Es wird schon was passieren. Ganz ohne Übermut ohne halbgare, verzweifelte Gedanken. Denn das ist es doch, was du bist. Du verzweifelst an der Realität der Gegenwart. An der Vernunft und den Gedanken, die du niemals denken können wirst, weil du bereits voraus bist, in der Welt die es nicht gibt und niemals geben wird, denn alles, was entsteht, muss es schon geben. In neuer Reihenfolge unbedingt. Aber du wirst aus dem Nichts nichts schaffen, das kann ich dir versprechen. Du musst dich konfrontieren mit dem hier und jetzt und mit dir selbst. Und deshalb warten wir jetzt einfach, bis du das getan hast und dann können wir weiter.


Artur: Naja, also der Himmel – den Himmel meine ich – also nichts so göttliches, oder womöglich sogar religiöses – nein nein, ich mein den Himmel – den muss man doch schon denken – irgendwie – denke ich – jeder so für sich – nich? - hm – wenn wir hier – also ich meine schon uns alle – irgendwie – dann müssen wir doch – wir müssen doch was denken – wie das jetzt gehen soll – und eine Regel – oder eine Vision – sowas eben – sowas muss es doch geben – oder nicht? - also gut, diese Begriffe – Frage, Antwort, richtig, falsch – vielleicht nicht das – aber irgendwas – Sinn


Eva: Destroy. Destroy everything.

Destroy your brain.

If you are not ready: Destroy everything that your brain cannot handle.

Then everything else will be Sinn


Rahel: Jaja, nagut. Dass wir jetzt nicht unbedingt im Faschismus leben möchten, das ist doch wohl klar. Aber wie geht das sonst? Wie werden wir denn die los, die nicht das wollen und das denken, was wir tun? Vielleicht auch die, die es einfach nicht verstehen, weil sie es nicht können. Wie werden wir die denn jetzt los? Alle Systeme haben versagt. Wir mochten die alle nicht. Die waren so unschön. So gemein. So unmenschlich und willkürlich. Auch die Algorithmen waren so – kalt. Irgendwie kalt. Der Schmerz war immer gleich – schlimm. So. Und wenn man jetzt eine Idee hätte, also alle zusammen, so , ne, dann wäre es doch viel schöner. Und niemand mehr mit Schmerz. Ach, Mist, nur wie werden wir die anderen jetzt los? Alle Systeme … huch. Ha. Ich wusste es.


Artur: Jetzt weiß ich, warum ich hier bin

Nicht um den Mond von Nahem zu sehen

Sondern um zurück zu schauen

Auf unser Heim

Die Erde



Szene 5


Eva: Ja gut, jetzt ist sie da: Die Zeit, in der die Basis weg ist, die Wertebasis zerbrochen. Es gibt ohnehin kein richtig und falsch mehr. Die Gesellschaft hat entschieden sie abzuschaffen. Also ist sie nun dahin. Das muss nicht unbedingt schlimm sein. Vieles Richtiges war ja auch schlimm genug, obwohl viel falsches ja tatsächlich falsch war. Denke ich. Naja. Jedenfalls ist hier der Ort, an dem wir uns das fragen können und deshalb auch fragen müssen. Wir sind keine Enzyklopädie und auch keine Statistiker, aber wir dürfen hier machen, was wir wollen und müssen es deshalb auch. Alles steht Kopf, darüber sind sich ja die meisten einig. Je nach Perspektive steht für den einen das eine mehr Kopf als das andere, während für den anderen das andere mehr Kopf steht als das eine. Je nun. Drum: Auch wir können alles auf den Kopf stellen (ohne Konsequenzen sei gesagt). Also sterben wird niemand, das versprechen wir Ihnen. So, also: Wir können im Handumdrehen alles auf den Kopf stellen und müssen es deshalb auch. Wir müssen es machen, damit wir wieder klar denken können. Unsere Synapsen sind verstopft und wir wollen sie freibekommen. Alles, was wir kennen hat sie zugestopft. Alle haben immer Kopfschmerzen. Deshalb sollten wir uns mit dem beschäftigen, was wir nicht können und müssen es auch. Sonst platzt der Kopf und überall ist Schleim, an den weißen Wänden. Wenn wir also wollen, dass die weiß bleiben, dann sollten wir das tun, dann müssen wir. Sofort. Alles was wir kennen gilt nicht mehr. Nur für heute. Vielleicht war ja auch etwas gut, das können wir dann rausbekommen. Aber jetzt, jetzt ist alles weg. Wir sind die einsamen, kleinen, dummen Wesen, die wir nunmal sind. Und immer waren.


Enrique: Das ist gut, endlich mal etwas Handfestes. Das ist gut. Ich will nämlich auch unbedingt etwas machen. Etwas Richtiges machen. Etwas Neues machen. Etwas machen, was noch nie da war und wo sich das Publikum so richtig entscheiden muss, ob es das jetzt mag oder nicht. Ja, das liebe ich. Genau. Und wir können auch gar nicht wissen, was das wird. Das was wir machen. Weil es ja nach vornehin offen ist. Hier guck. Da. Offen. Ne? Genau. Also, um Hoffnung zu haben, muss es ja nach vornehin offen sein. Da. Ist es auch. Und der Zufall wird uns leiten, wird uns führen. Wir werden in der Schwebe sein. Alles andere wäre sowieso nur Wiederholung. Aber nein, wir werden jetzt nichts wiederholen, wir werden ganz was Neues machen. Es ist schon neu, weil wir nicht wissen, was es ist. Was es wird. Die Hoffnung muss enttäuschbar sein können, sonst ist es nicht wirklich Hoffnung. Das ist gewagt. Das wissen wir. Aber, wenn wir nicht auf dem Altenteil sitzen bleiben wollen, dann müssen wir dieses Wagnis eingehen. Alles andere wäre Konservativ. Alles, was wir den ganzen Tag machen ist immer nur Konservativ. Das ist okay, das heißt ja nur, dass wir was erhalten möchten. Jeder Mensch möchte was erhalten, sonst würde er nicht existieren. Aber hier, hier müssen wir das nicht. Hier wurden die Menschen nämlich abgeschafft und nur wir bleiben zurück. Hier können wir auch nichts erhalten, weil es garnichts gibt. Wir müssen also die Hoffnung walten lassen. Wir müssen hoffen, dass wir etwas schaffen, oder erfahren, oder erleben, oder erleuchten, oder erfinden, oder erforschen, oder erreichen. Nein, erreichen doch nicht. Erreichen müssen die Pragmatiker, die Kategorisierer, die die wissen, wie es geht. Wir wissen das natürlich nicht. Denn wüssten wir es, dann wär ein anderes weißes Haus das unsrige.


Uwe: Also darf ich jetzt nochmal fragen, ich find das hier manchmal etwas kryptisch und dann auch sehr so selbstreferenziell, deshalb frag ich nochmal für die Dummen (die wir hier ja alle nicht sind), aber trotzdem: Ihr wollt den Raum jetzt freigeben, damit irgendwas passiert. Ohne Regeln, ohne Gesetze, ohne Figuren, ohne Ziel und dann hofft ihr, dass ihr etwas schafft, was es noch nie gab. Ist das wahr?



Szene 6


Artur: Wir müssen nur dran glauben. An das Prinzip Hoffnung. Wir müssen glauben, dass wir schaffende Wesen sind, die keinen Bezug brauchen. Wir bestehen ja ohnehin aus unseren Erinnerungen, die sind also zwangsläufig da. Und wenn wir uns jetzt alle darauf einigen, dass wir zwölf Minuten daran glauben, dass wir etwas Neuartiges, etwas nie dagewesenes, etwas zukünftiges, was nicht digital, sondern sozial ist, erschaffen können, dann werden wir das auch. Ihr auch. Hier kommt unser Chor.


Wir

du und ich und die da

und der da

wir können alles sein und dürfen alles machen

diese, gelangweilten und scheinbar nachdenklichen Gesichter sind nur Schutz

um unsre peinliche Existenz zu vertuschen

die legen wir jetzt frei

ha ha, ha ha, ha ha

hu, hu hu, hu

Ich bin die Urmutter und die Mutter

und ich nehm euch alle mit.


Eine Kollage aus unterschiedlichen Räumen, Operngesang, Kunst, Natur, Technik, wechselnde Räume im Raum


Enrique: So, und jetzt sprech ich hier nochmal ganz kurz rein. In dieses Ding. Ihr seid jetzt keine Theaterzuschauer mehr und wir sind jetzt keine Schauspieler mehr, wir sind einfach alle nur Wesen im Raum, wir dürfen uns unterhalten, wir dürfen uns verkriechen, wir dürfen tanzen und wir dürfen singen. Wir dürfen auch gehen, oder wir dürfen gelangweilt in die Ecke gucken, gähnen und uns denken, „was ist das für ein Scheiß, früher war Theater immer schöner.“ Aber wir dürfen uns auch einfach freuen, am Quatsch machen, am spielen, am sinnlos im Raum sein. Wann waren Sie denn zuletzt sinnlos in einem Raum, hä? Ja, eben. Also, let us celebrate, dass wir hier alles sein können und nichts sein müssen. Ich schwöre euch, dass das ein Luxusgut ist, was wir nutzen sollten. Na also.


12 Minuten, wie vereinbart. Die Uhr läuft. Ein jeder kann seine Utopie verwirklichen.



Szene 7


Lukas: Wissen Sie, ganz ehrlich, wir können Ihnen keine Utopie verkaufen, auch nicht schenken, genau hier fängt das Problem schon an. Es gibt ja nichts auf Knopfdruck. Das ist ja nur das Marketing des Kapitalismus. Wir haben Angst, wir sind Unsicher und überfordert und retten uns in diesen zugegebener maßen ziemlich schönen Raum, den wir Theater nennen und in dem wir wissen, was wir machen müssen, um die Leute zu faszinieren. Insofern sind wir eigentlich ein ziemlich guter Spiegel der Gesellschaft. Denn, wenn wir uns so umgucken, was wir ja natürlich in der Regel nicht tun, dann findet man diese Ecken doch nun überall. Die Ecken, in denen Leute sich verkriechen, gehorsam ihre Arbeit tun, um dem Überfluss, der Verunsicherung der Zeit zu entgehen. In der Ecke, in der man eben sitzt, seine individuelle Klarheit zu finden, das scheint doch die Erlösung zu sein. Aber irgendwie ist das nicht richtig, irgendwie ist das doch falsch und irgendwie muss doch gerade das Theater auch ein Ort sein, in dem man, ohne fatale Konsequenzen, weiterdenken muss. Das gehört doch zu unserer Verantwortung dazu.


Rahel: Freunde, ich muss euch was gestehen. Ich finde dieses Nichts ziemlich bedrohlich, irgendwie. Ich meine, mir dreht sich wirklich der Magen um. Mir ist elendig zumute. Ich wollte ja ich könnte, aber ich kann es nicht. Ich bin komplett auf mich selbst zurückgeworfen, das geht irgendwie nicht. Also, ich kann es nur so sagen, ich brauche irgendeine Orientierung, oder wenigstens einen Feind. Oder eine Nische, in der ich mich auskenne, oder ein Thema. Ich langweile mich selber, ich halte mich nicht aus. Und ich glaube, mich hält so auch niemand aus. Ich bin ein schwebendes Teilchen im luftleeren Raum. Hier ist Null, hier ist nichts und nichts ist jämmerlich, ist auch ignorant. Oder hat das nur mit mir zu tun?


Eva: Gehts noch? Was soll denn diese gefühlige Ego-Scheiße hier. Die Utopie ist größer als wir. Die kannst du als Einzelner ja überhaupt nicht begreifen. Heul uns bitte jetzt nicht voll mit deinem Orientierungs-Kack. Zack. Dein Ego ist ein leiser Furz in unserer Dimension. Wir haben uns geeinigt, dass wir die Ebene der einfachen Antworten verlassen wollen, weil uns die einfachen Antworten nirgends hinführten, außer zu einer Welt voll Hass und Ausgrenzung und jetzt kommst du hier an und erzählst mir etwas über deine Gefühle, das ist doch wirklich gänzlich unangebracht. Pass mal auf, wenn du zurück willst in die Welt in der dir vorgespielt wird, dass du frei bist und abgelenkt wirst von hübschen Labels namens Demokratie und Volk und Kunst; da ist die Tür. Hier haben wir keine Lust mehr von Leuten erklärt zu bekommen, was demokratisch ist und wie man Kunst macht. Das ist Gehorsam gegenüber der Macht. Und ja, auch wir gehörten stets zur Macht, waren professionelle Kunsthandwerker, die pünktlich auf- und abtraten, um die mechanisierte Gesellschaft so gut wie möglich zu spiegeln. Oh. Oh nein. Das mache ich ja immernoch. Verdammt, nein halt. Wenn ich hier so stehe, in meiner Orientierungslosigkeit und mich besinne, was ich morgen sein werde, ob ich noch sein werde, dann bin ich das immernoch. Ein hohler Spiegel, nein? Wenn ich mich wohlfühlen will, wenn ich mich gemeint fühlen will in der Welt, wo ja immer alle gemein sind, aber niemand wirklich gemeint ist. Wenn ich wieder Sinn, wieder Zugehörigkeit verspüren will und nicht in großen Daten dumm aus der Wäsche gucken will, dann bin ich ja verdammt nochmal nichts anderes. Nichts anderes als ein erbärmlicher Spiegel vor einem erbärmlichen Publikum, dass dann nachher rausgeht, um bei einem guten Glas Wein selbstgefällig diese Zusammenkunft zu besprechen und auch ich: Ja, auch ich werde unter Umständen genau das gleiche tun. Nein, so ziemlich sicher ist das schon. Ich muss ja, oder ich muss auswandern. Muss ich? Oh nein, oh nein. Ich glaube der erste Schritt scheint das zu sein: Mein Abgang. Mitten drin. Mitten hier. Jetzt gleich und – Nein, stop. Mein Nichtabgang, weil ja im Text drin steht, dass ich hier jetzt abgehen muss, wenn ich also jetzt entgegen des Textes einfach hier bleibe, dann wäre das doch gegen die Konvention, oder nicht? Die Sache, also das hier auf den Kopf stellen, das wollten wir. Jetzt bleib ich nämlich einfach mal hier, so. Und niemand kann was machen, alles wird anders sein als sonst, weil ich nicht abgehe, obwohl das so im Text geschrieben steht und ich bin jetzt einfach größer als die Form. Und damit als die ganze Welt. Moment, nein, stop. Aber jetzt, genau, jetzt gerade (ich höre mir beim Sprechen ja auch gelegentlich mal zu) sagte ich doch, dass ich hier bleibe, das heißt also, es stand im Text geschrieben, oder ich habe das gerade erfunden, dass ich jetzt hier bleibe und bin deshalb Stückimmanent, weil ich ja meine Figur spreche und nicht mich. Selbst, wenn ich mich spiele, bin ich ja die Figur. Und die Figur meinte also jetzt, dass sie bleibt und deshalb muss zwar vielleicht die Figur bleiben, aber ich nicht unbedingt. Ich könnte auch einfach gehen. Ja, das könnte ich. Ich bin ja auch noch ein Mensch und nicht nur ständig eine Figur, oder? Ja, oder? Aber ich kann meine Figur jetzt natürlich nicht alleine lassen hier, die muss schon auch mit und außerdem will ich das ja alles sabotieren hier. Also positiv. Positiv sabotieren. Das ist wichtig. Ich möchte niemandem weh tun, mir erst recht nicht. Huch. Nein, niemandem. Wirklich. Ehrenwort. Aber eben anders, ne. So, neu und anders und Zukunft und frei und gemeint und Kollektiv und Gruppe und Liebe und Alles. Das klingt jetzt wie so ne Hipster-Postkarte, aber ich fühle das hier unten. Hier. Schauen sie. Hier fühle ich es ganz tief, es ist mein Verlangen, ich kann es nur nicht in Worten ausdrücken. Ich bin ja kein Gedankendrucker, ich bin ein Spieler, so wie alle Menschen, mein Leben ist ja nicht eine Erzählung, ist ja nicht linear. Ja, wir behaupten das normalerweise immer, ich weiß. Tut mir auch leid, dass das heute nicht so ist, aber es ist halt einfach nicht so und der Halt, den man geliefert kriegt, der ist dann einfach Fake. Immer eigentlich. Man sollte vielleicht das Bewusstsein darüber nicht verlieren. Das man auch immer falschliegen könnte. Immer.



Szene 8


Artur: Warum bloß

darf der Tannenbaum

der glänzende

der schimmernde

nicht fehlen in der Stuben

nicht einmal bei den Klugen


der Wahnsinn ists

er macht nur Dreck

die Umwelt störts

die Schöne

doch wir wolln nicht verzichten

am Festtag nein, mitnichten


Näm man nun was andres her

ein Gegenstand des Alltags

und schmückte ihn

mit Herz und Seel

kein Mensch würde je zweifeln

oder ihn gar verteufeln


Im Gegenteil

ein Regenschirm

in Anmut

leicht sich wiegend

würde wohl im rechten Lichte

sich hübscher machen als die Fichte


Uwe: Was soll das? Was soll das mir erzählen? Was soll das mit mir machen? Was soll ich daraus lernen?


Artur: Ruhe - Jetzt ist sie fort.


Uwe: Was?


Artur: Die Ruhe nach dem Sturm. Die Insel des Daseins. Du hast sie zerstört, weil du glaubtest denken zu müssen, dabei ist anhalten manchmal das bessere Denken. Anhalten ist schwierig, weil da geht’s weiter und hier ists gerade schon vergangen und trotzdem manchmal empfehlenswert.


Uwe: Sag mal, geht’s noch?


Artur: Wieso? Ich hab das ausprobiert. Poesie hilft mir den Raum (das Vakuum) zwischen aufkommendem Bedürfnis und seiner Befriedigung zu erleichtern. Poesie, Theater, Kunst...


Uwe: Ich finde das im Angesicht der Probleme unserer Welt wirklich abartig. Flüchtlingsströme, Überbevölkerung, Bienensterben, Klimawandel...


Artur: Hä? Was ist denn los mit dir? Du bist doch auch hier. Hier auf meiner Seite. Jetzt tu doch nicht so als ob du besser wärst. Als ob du dich nicht auch in deinem eigenen Saft suhlst anstatt die Welt zu retten. Das ist doch wirklich Irrsinn. Und du bist auch nicht besser, weil du mich jetzt hier offen angreifst, weil du mich bloßstellst. Du verschiebst bloß das Problem. Dein Problem. Was soll das denn? Warum sind wir denn hier gelandet? Was soll das denn hier darstellen? Welcher Film sollte denn hier kopiert werden? So machen diese Theaterleute das doch immer. Sie kopieren einfach die Filme und ihre Mittel. Also, wenn dem so ist, warum haben die uns denn hier reingesteckt? Ein weißer Raum, kann ja alles heißen und nichts. Welchen Film sollen wir denn jetzt hier spielen? Was ist die Metapher, ich checke sie irgendwie nicht. Ich kann dir alles spielen, aber nicht nichts. Und was machen die denn da? Was wollen die denn jetzt, verdammt? Was wollen Sie? Ich denke, sie wollen etwas lernen über die Welt und ihre Abgründe, aber das können wir ihnen nicht geben, weil wir heute nur das Gegenteil machen. Dies ist der Abend der Gegenteile. Denn alle sollten immer auch mal die Gegenteile machen, das ist unsere Aussage. Wir glauben an die Gegenteile. Mehr werden sie nicht lernen hier, nicht von uns. Wenn sie etwas lernen möchten, dann sollten Sie jetzt besser gehen, denn wir müssen überhaupt erst einmal laufen lernen, bevor wir denken werden. Und sie können das ja bestimmt schon, oder? Das ist jetzt natürlich eine gemeine Unterstellung, aber ich mache sie jetzt trotzdem. Sie sind die Wissenden, wir sind die Unwissenden. Auch hier: ein Gegenteil. Früher sollten die Leute im Theater belehrt werden, heute möchten wir was von ihnen lernen. Dafür stehen wir ihnen auch natürlich immer gerne zu Verfügung, nach der Vorstellung, aber wenn sie ganz mutig sind, dann auch gleich jetzt und hier. Sie können einfach reinrufen, das macht uns nichts. Wir hören dann kurz auf und machen danach weiter. Wir machen das jetzt schon seit sechs Wochen, probieren sie es mal für einen Tag. Immer das Gegenteil. In jeder Lebenslage. Klar, wir haben den Luxus das zu dürfen. NOCH! Auch wir wissen ja nicht was kommt und machen uns genauso Sorgen um die Zukunft wie alle anderen auch. Ob es den positiv sinnlosen Denkraum noch geben wird, oder ob er vernichtet wird und wir in ein paar Jahren als Fließbandarbeiter für die „nationale Wohlfühlkultur“ zuständig sein werden. Für die aufgezwungene Identität mit allen Konsequenzen. Obwohl natürlich einige von uns schon heute ihre Arbeit genau so machen und eine Hybrid Hybris entwickeln, die natürlich mit der Sprache des Erfolgs (die wir ja alle sprechen müssen in unserer Welt) nicht zu widerlegen ist. Wie Vampire saugen sie die Menschen aus, basteln aus dem Flickenteppich der Informationen ein großes Ganzes, verkünden dann die Wahrheit und braten Zweiflern einen über. Und diese findest du in jeder Ecke. Da kann sich niemand rausziehen. Und mal im Ernst, niemand glaubt doch wirklich daran, dass wir uns den Rückwärtsgewandten entgegenstellen können, wenn wir selber nur unsern Arsch retten wollen. Und mal im Ernst, das wollen wir doch. Wir sind doch ganz froh, dass wir jetzt alle zusammen die Nazikeule schwingen können. Wir hängen da doch alle zusammen dran. Denn drunter ist doch etwas, was tiefer geht als die Oberfläche und was uns auch alle wieder verbindet: Die Angst vor dem, was da kommen mag, bei gleichzeitiger Gewissheit, dass was neues kommen wird. Egal wie, wir klammern uns alle irgendwie irgendwo fest und hoffen so lange wie möglich auf der richtigen Seite zu stehen, verteidigen diese also bis aufs Fleisch und kleben doch in Wahrheit alle im gleichen, alten, versifften, vergammelten Suppentopf. Und da wir wissen, dass wir da nicht rauskommen, versuchen wir uns dort einzurichten.


Lukas: Hm. Was bedeutet das jetzt?


Enrique: Zuerst sollten wir mit dem Poltern aufhören. Überall die Polterer. Ich kann es nicht mehr hören. Aus allen Löchern wird gepoltert.


Lukas: Und dann?


Enrique: Dann sollten wir nochmal anfangen und die Wege alternieren. Was wäre, wenn... ich nicht hier geboren wäre, nicht so, sondern eben soundso.


Lukas: Kann ich nicht. Was war davor?


Enrique:Am Anfang war der Tanz.


Der Tanz wird getanzt


Lukas: Ich komm nicht weiter.


Enrique: Weil du nur in deiner Dimension denkst, weil du nur darüber nachdenkst, ob das hier jetzt deinem Geschmack entspricht, ob die du Ästhetik magst, ob dir das was bringen wird, wie du später darüber reden wirst und wie du dabei aussiehst. Du hörst zwar die Stimme der Vernunft und des moralischen Gesetzes, aber du vertraust nicht darauf, dass du auf die Bereitschaft zu moralischem Handeln seitens der anderen Weltbewohner zählen kannst. Du bist einer dieser Zahlenkrüppel, weil Vertrauen das Umarmen des Zufalls bedeutet und du deine Zukunft kalkulieren möchtest. Musst. Weil die Gesellschaft dir das genau so beigebracht hat. Nur leider geht das nicht zusammen: Vertrauen und Sicherheit. Entweder, oder. Du musst dich entscheiden.


Unter Tränen

Rahel: Weißt du, ich kann nicht mehr. Mein Herz und meine Seele sind zerrissen. Früher wurde ich gemocht, nein geliebt, weil ich den Menschen gefiel. Mit meinem unverdorbenen Talent komplett für sie da zu sein, das bedeutete alles für sie. Sie lächelten, wenn sie mich sahen. Und jetzt? Jetzt denken sie, ich sei von einem andern Stern, das bin ich aber nicht. Ich bin nur weiter als ich damals war. Und ich kümmere mich gelegentlich auch um mich. Ist das okay? Manchmal wünschte ich, ich könnte zurück, doch das ist Nostalgie. Die Wahrheit passiert immer Jetzt. Deshalb ist auch nie irgendetwas sicher und das ist ganz okay. Auch das kann man ja kultivieren, nur jetzt werde ich belehrt. Plötzlich bekomme ich gesagt, wohin ich wann gehen soll. Und wo ich wie zu stehen habe. Die sogenannten Intellektuellen weisen mich zurecht, obwohl sie meistens selbst noch keinen Schritt ins Leben machten. Die sitzen oft nur rum und theoretisieren sich zu Tode, kein Schwein verstehts, so mancher muss es lesen, niemand will es und vor allem führt es nirgends hin. Na klar, es erhält Jobs, okay. Nur dass diese dann auch noch von sich behaupten, sie könnten etwas über die Welt erzählen, dass ist doch wirklich absurd. Nur wer entscheidet denn? Na die, die Zombies, die sich selbst erhalten indem sie sich Experten nennen für etwas, was es garnicht gibt. Die Theorie des Lebens. Da stößts mir wieder auf. Wie überheblich kann man sein...




Szene 9


Na gut, ich sags. Ich sags jetzt einfach mal, so wie es ist. Das wird man jawohl. Nein, das soll man jawohl. So. Und dem haben wir uns doch verschrieben. Man darf alles sagen, muss aber seine eigene Wahrheit immer auch zur Disposition stellen. Also im Prinzip ist es das, was ich möchte, meine Wahrheit zur Disposition stellen. Ja. Nee. Wie sag ich das denn jetzt. Wie sag ich das denn richtig? So, dass sich niemand hier angegriffen fühlt? Niemand verletzt? Also, gut, das mit dem Mann und . Nee halt. Das mit der Frau und mit dem Mann. Ja, so rum. Andersrum wäre unhöflich, oder? Wenn ich zuerst den Mann und dann die Frau... Ja, und auch alle anderen. Die anderen Geschlechter. Und auch die ganz normalen. Nein. Oh Gott. Nein. Also die, die quasi zum Beispiel Männer sind, sich aber nicht so sehen. Heteronormativ. Also die anderen. Und auch alle aus der LGBTQQICAPF2K+ Community. Auch die. Und die Feen und die Elfen und die Magier. Auch die, ja. Ich denke, es wäre gut auch die mit einzuschließen. Und die Könige und Kaiser und auch die Diktatoren. So. Fühlt sich jetzt jeder angesprochen? Nein. Ich bin total vom Weg abgekommen. Ich weiß nicht mehr wo ich war und wer ich bin und vor allem, wie ich etwas sagen sollte, was für alle diese, ehm, Menschen, ja Menschen sind es alle, gültig sein könnte. Nein. Wie sollte ich kleines dummes Erdenwesen denn etwas denken, was für die alle gilt. Ich weiß nicht, wie es ist im falschen Körper drinzustecken. Zwei Geschlechter zu haben. Zum Beispiel. Auch ein Mann zu sein kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Naja, egal. Nee, irgendwie nicht. Ich behaupte hier, dass ich was spreche, was für die ganze Welt gilt, oder zumindest gelten soll, denn ich habe ja den Anspruch, dass die ganze Welt sich ändert. Sich ändern muss. Ja gut. Und die Geflüchteten zum Beispiel, oder die Kranken. Die haben ja nochmal wieder andere – Also denen geht’s ja so richtig dreckig – den queeren ja leider auch häufig – und den Frauen. Und jetzt ja auch den Männern. Neuerdings. Neuerdings kann man ja kein weißer Mann mehr sein, ohne sich so richtig zu schämen. Für die Geschichte der weißen Männer. Das könnte der Raum sein hier. So eine Metapher für den weißen Mann. Weiß, groß, mächtig, aber schon so leicht angegilbt. Ja. Das ist er, der weiße Mann. Naja, immerhin dürfen sich jetzt alle schämen. Das ist doch wichtig für die Gleichheit. Aber wieso denn? Wieso denn eigentlich die Gleichheit, hä? Was soll das denn heißen, die Gleichheit? Bin ich denn gleich, gleich mit wem? Ich gleiche ja noch nichtmal meinem gestrigen ich, wie soll ich denn gleich sein wie die ganze Welt? Und was ist überhaupt der Sinn? Was soll der Quatsch? Ich halt mich alleine schon nicht aus, was wäre denn, wenn alle gleich wären, oje. Das würde mich verrückt machen, nein! Ich will ja nur, ich will ja, dass die Leute anders sind. Oder verstehe ich das falsch? Achso, wegen der Diskriminierung und so, hm? Naja, also da beißt sich jawohl das Krokodil in den Schwanz. Also wir wollen keine Uniform, aber wir wollen dass alle gleich sind? Ja? Nein. Aber wir wollen, dass alle gleich behandelt werden, ja? Ja, das wäre doch schonmal ein Anfang. Aber wenn wir nun die Wogen glätten wollen, also ich finde, für mich klingt das sofort pervers. Die Wogen glätten. Das ist doch hier keine Schönheits-OP, die Zivilisation. Die Wogen glätten, das sagen die Neoliberalen auch immer, was solls. Ich denke, dass kann man schon vergleichen. Wenn alle gleich sind, dann muss man sich doch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, oder? Alle haben die gleichen Rechte und Pflichten, ja? Dann brauchen wir die Uniform. Dann fordert doch die Uniform. Es ist ok anders zu sein in eurer Gleichheit? Das ist doch Quatsch, da stimmt doch irgendetwas nicht. Ihr wollt alle die gleichen Rechte und Pflichten? Bitteschön, dann zeichnet euch doch nichts mehr aus. Das ist doch Teil der Verschwörung, dass die Leute sich alle freiwillig gleich machen wollen. Na klar, die bekommt man viel leichter zu greifen, wenn alle gleich sind, dann weiß man ganz genau wer, wann, wo, wie, warum auftaucht und was essen, trinken oder anders konsumieren will. Gleichheit macht alle kalkulierbar. Schonmal dran gedacht, so und deshalb hier. Booom. Das hätte sich niemand ausrechnen können und deshalb bin ich stolz darauf und deshalb ist es meins und deshalb darf und kann jetzt niemand anderes das machen und das fühlt sich gut an und das ist okay und es ist nicht gleich, sondern unmöglich und das soll es auch sein. Und muss es auch sein, weil sonst kann ich auch gehen und jemand anders stellt sich für mich hier hin. Jemand, der gleich ist wie ich. Nur den gibt’s nicht und dafür werde ich auch sorgen, dass es den nicht gibt. So.


Lukas: Scheiße, scheiße. Ich hab es immer schon geahnt. Stop. Nein. Stop. Wir sind das verdammte scheiß Problem. Ja. Wir. Niemand anders. Wir, hier, in diesem Moment. „Make theatre great again“?? Trexit? Sagt mal geht’s noch? Aaaaaaaah. Scheiße. Verdammt. Fuck. Scheiße. Nein. Oh Gott. Vergessen Sie bitte sofort alles, was sie sahen! Bitte! Wir glauben, wir könnten eine Welt schaffen an die wir alle glauben, die wir alle gutheißen? Wir glauben, wir müssten dafür alles abschaffen, was wir kennen und können? Das ist verlogen. Wir belügen uns, damit wir die Illusion aufrecht erhalten können. Gebt's doch ruhig zu, einigen gefällt das doch hier nicht. Einigen gefällt das nicht, dass es keine Figuren gibt, dass es keinen Plot gibt, dass es keine schönen Lieder gibt, dass es den Klimawandel gibt, dass es Migrantenströme gibt, dass es andere Religionen gibt. Das Leugnen treibt uns in die falsche Ecke. Dafür gibt’s schon andere. Das stimmt doch garnicht, dass wir das wollen. Seid doch mal ehrlich. Wir wollen doch garnicht alles abschaffen, wer will das denn? Das Theater abschaffen? Ehrlich? Trexit? Nein! Wir belügen uns emotional, damit wir an das große ganze glauben können. Verdammt. Ich hätte es wissen sollen. Verdammt. Das ist schrecklich, wir schaffen einfach alles unangenehme ab und glauben dann wir wären besser, aber wir ziehen uns einfach nur aus der Verantwortung, beziehen keine Position. Wir verleugnen die Obdachlosen auf der Straße, wir verleugnen den Klimawandel. Na klar, uns ist er bewusst, aber wer würde schon sein Leben dafür ändern, dass was besser wird? Ist doch eh alles im Arsch. Ja, und wir verleugnen die Theaterkunst, nur weil wir uns hier wohlfühlen wollen in unserer „Utopie-Ecke“, denn darum geht es doch: Wir wollen uns einfach wohlfühlen. Und wir wollen an etwas glauben. Okay. Aber hauptsächlich wohlfühlen. Wir sind elitäre Nichtsnutze. Wo auf der Welt könnte man so etwas schon machen? Nirgends! Uns geht’s viel zu gut. Wir haben doch eine Aufgabe von der Gesellschaft, wir sollen Theater spielen. Und wir hängen hier blöd in der Ecke rum, schrecklich, und quatschen über Utopien. Schlimmer kann es gar nicht werden. Kennt ihr eigentlich Leute die wirklich Probleme haben? Ja, klar, wir wollen theater great again machen und dafür leugnen wir, dass manche einfach nur Figuren spielen wollen? Dass manche einfach eine Geschichte erzählen wollen und andere einfach nur eine Geschichte hören wollen? Echt? Und das schlimmste, dabei bilden wir uns auchnoch ein, dass wir was verändern würden. Lasst uns ehrlich zu uns sein, wir haben aufgegeben die Welt zu retten, wir sind einverstanden mit ihrem Untergang und deshalb wollen wir es uns jetzt hier, in unserer kleinen elitären Blase noch so hübsch und gemütlich machen, wie es eben geht. Und schlimmer: Auch noch mit einem vermeintlichen, guten Vorsatz. Oder? Oder? Oderoderoderoderoderoder? Ja! Wir sind einfach nicht besser. Besser als alle anderen, die es sich so einrichten wollen. Alle wollen sich einfach nurnoch einrichten. Mit Fertigbausätzen von Ikea, im Hipstermantel. Guckt mal, da! Genau so. Und das machen wir jetzt auch. Wir schaffen einfach alles ab, was wir nicht wollen, ohne zu wissen, was wir eigentlich wollen. Wir verleugnen es. Denn da ist es ja. Ja, da sind nunmal die Leute, die lieber eine Rolle in einem Stück spielen und auch die Leute, die lieber eine Rolle in einem Stück sehen. Ja. Da ist nunmal der Klimawandel und ja, da sind nunmal die verdammten Migrantenströme. Ja, verdammt. Ist wirklich extrem unangenehm, jetzt wo wir uns gerade so wohlfühlten, ist aber so. Tut mir leid. Also stop. Hört auf mit dem Verleugnen. Wir brauchen sie, die Exkremente. Die Exkremente unserer Wohlfühl-Welt, sie sind halt da. Also lasst sie uns umarmen. Unsere plüschige Blase, sie wird platzen, denn es gibt eben die Welt da draußen, es gibt eben das globale und das lokale mit allen Konsequenzen und die können wir nicht verleugnen. Ich werde eben morgen in einem anderen Stück wieder was anderes spielen und ich werde eben diesen Text in zwei Wochen wieder so aufsagen, wie genau in diesem Moment. Und die Welt wird eben weiter wärmer und voller werden und deshalb werden sich die Menschen auch bewegen. Ausgrenzen reicht da einfach nicht. Also, Richtungswechsel. Ich bin gerne Schauspieler, weil ich gerne schauspiele und ich danach gerne den Applaus ernte. Für meine Leistung. Für mein Handwerk. Mein sprachliches und spielerisches Handwerk. Und sorry, wenn das nicht eurer Utopie entspricht, aber immerhin ist es ehrlich und immerhin verleugne ich nicht etwas für das große Ganze, nein. Das tu ich nicht. Das tu ich ab jetzt nicht mehr. Weil ich nicht glaube, dass es utopisch ist, wenn ich mich meiner Verantwortung entziehe. Nagut, dann bin ich ab jetzt das Exkrement eurer Utopie. Das macht mich irgendwie auch ziemlich frei. Okay, now deal with it!


Uwe: Jaja, hört zu: Es ist der Zeitgeist dem wir folgen wie die Schafe. Wo ist er denn, der Untergang der Welt? Ich warte schon so lange, von allen Seiten wird er beschworen, aber ich sehe ihn einfach nicht. Nein, es passiert viel Schlimmes auf der Welt, in der Tat, doch unter geht sie nicht. Vielleicht ist das die Utopie: Gegen allen Irrsinn, gegen die Untergangsszenarien, gegen die Irrationalitäten dieser Welt mit der Vernunft zu antworten. Immerhin: Wir haben vieles überlebt, vieles, was von den Skeptikern, den Verschwörungstheoretikern als sicheres Ende unserer Spezies angekündigt wurde. Aber hier bin ich doch. Hier stehe ich, noch immer und tue noch das selbe wie vor vierzig Jahren. Gut, das Gewand hat sich geändert und so manches anderes auch, aber am Ende des Tages ist es doch das selbe. Und ich erzähle. Und die Erzählung bleibt und geht immer weiter und niemand kann uns das nehmen. Wir sind doch unsere eigene Erzählung, dann lasst uns das erzählen, was wir sein wollen.

Lukas: Ich fand letztlich auf einer fernen Insel folgendes Fragment, wohl dem Barock entsprungen:


Hier, schaut nur. Keiner schaut. Egal. Hier. Hier ist er doch. Der Ort. Das Örtchen mit den Törtchen? Liebe, Lust und Leidenschaft? Na klar, ja bitte. Hier noch ein bisschen Sommerbrise, hier ein bisschen unscharf, hier ein bisschen Fokus, hier ein bisschen Pastel und fertig. Oder halt auch anders. Ich bin ja frei. Macht übt Macht aus, weil sie mächtig ist. Bin ich aber nicht. Praktisch oder? Ich bestimm nur über mich selbst. Mein Traum ist hier drin, mein Ideal auch, tut also keinem weh. Ob ich nun gehe oder nicht ist egal. Alles, was ich will ist da. Ist sowieso da. Ich muss da für nichts kämpfen. Ich bin einfach nur da, wo ich sein soll. Sonst nicht. Ich gucke durch die Scheibe in die Welt, die es nicht gibt. So wie mich. Oder andersrum. Ich bin alles, kann alles sein zu jeder Zeit und niemand kann mir das verderben. Alles, was ich will und brauch kommt zu mir her und ist schon da, schon immer da gewesen. Nur ohne mich ist nichts mehr da, aber das ist dann auch egal. Ich bin allein.


Macht übt Macht aus, weil sie mächtig ist. Sie feiert sich selbst und möchte ihre Logik stets aufs Neue beweisen.


Die Träume sind ideal und im Glauben diese in der Realität umsetzen zu wollen steckt Gewalt. Idealismus ist nur träumbar, auch lebbar, aber nicht machbar.


Und wenn wir nicht geboren wärn, dann lebten wir noch heute.


Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht.

Seine Fesseln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriss er

Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Schaam!

Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde,

Von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los.


Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer

Warnend ihn hielten, ihn fasst mächtig der flutende Strom,

Ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet,

Hoch auf der Fluten Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn,

Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne,

Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst im Busen der Gott.



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